74. Frühjahrstagung Verflechtungen II – Musik und Sprache in der Gegenwart
Donnerstag 8.4.2021 TEXTE
16.00 Uhr
Adam Czirak Theatertexte nach der postdramatischen Wende Mit einer Fokussierung auf textdramaturgische Tendenzen nach der postdramatischen Wende möchte ich meine Aufmerksamkeit auf szenische Situationen richten, in denen der Text nicht mehr als akustisches und sinnliches Material der Poetisierung, Störung oder Rhythmisierung eingesetzt wird, sondern eine semantische und politische Dimension der Rede ausstellt und die Frage ins Zentrum rückt, wer, in wessen Namen, mit wessen Stimme und in wessen Verantwortung sich zu Worte meldet. Einerseits soll erläutert werden, wie das zeitgenössische Theater Kritik an der Verkörperung und nahtlosen Anverwandlung in eine Figur übt, indem es die verbalen Dimensionen der Selbstinszenierung und der Identitätskonstitution favorisiert. Zum anderen soll im Bezug auf zeitgenössische Beispiele deutlich werden, dass das ‚Theater der Sprechakte’ wie ein politisches Spielfeld zu betrachten ist, in dem die Akteur_innen die gesellschaftlichen oder künstlerischen Bedingungen des Sprechens und des Handelns zutage fördern und nicht mehr als alleinige Autor_innen ihrer Aussagen auftreten. Welche politischen Facetten bringt die Dramaturgie der Stimme jenseits des rein Lautlichen und Somatischen im zeitgenössischen Theater zum Vorschein?
16.45 Uhr
Timo Fischinger Interaktionen. Wie Sprache sich in die Musik einmischt Gespräch zum Video
Neben Werkwissen vermitteln Programmhefttexte zumeist auch Einordnungs-, Deutungs- und Wertungswissen über die zu hörende Musik. Im Sinne Albrecht Wellmers, können Texte dieser Art auch als sprachliche Einmischung in Musik verstanden werden. Um zu untersuchen, inwiefern Texte, die vor dem Musikhören gelesen werden, das Hörerleben von Musik beeinflussen können, wurde ein Experiment durchgeführt, das hier vorgestellt werden soll. Die gewonnenen Daten ermöglichen überraschende Einblicke in Bewertungsprozesse im Allgemeinen und speziell in Bezug auf musikalisch-ästhetische (Wert-)Urteile.
18 Uhr
Roundtable mit Gordon Kampe, Ole Hübner und Mara Genschel
Betrommeltes Sprachvergnügen Die Buchstaben beginnen zu tanzen, wenn die Lyrikerin und Rezitatorin Nora Gomringer und die Jazz-Percussion-Legende Günter „Baby“ Sommer sich auf eine Entdeckungsreise durch die Literatur der Moderne begeben. Gomringer und Sommer fauchen, hauchen, singen, swingen, klöppeln, kratzen und schaben, dass es eine Sprach-Lust ist. Wort und Musik werden gleichberechtigte Dialogpartner. „Wie wir ja wissen: Das Trommeln und das Wort sind eigentlich mal, als es noch keine Telegraphie und nichts gab, ein Medium gewesen zur Informationsmitteilung.“ (Sommer) Gomringers Performance lässt die Wortkunst lebendig werden. Sommers Spiel stellt die Klangrede in einen akustischen Raum. Ein Wechsel findet statt: Der Musiker wird zum Geschichtenerzähler. Die Dichterin und Wortkünstlerin begleitet die Musik.
Adam Czirak studierte Germanistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft in Budapest und Berlin. An der FU Berlin arbeitete er am Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ (2007–10), promovierte dort über intersubjektive Blickrelationen in Theater und Performance der Gegenwart und war 2013–19 wissenschaftlicher Assistent 2019–20 Gastprofessor am Institut für Theaterwissenschaft. Seit Oktober 2020 ist er als Senior Lecturer am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien tätig. 2015–19 Leitung des DFG-Netzwerks Aktionskunst jenseits des Eisernen Vorhangs. Seit 2012 arbeitet er als Dramaturg u. a. mit Naoko Tanaka und Doris Uhlich.
Timo Fischinger war wissenschaftlicher Mitarbeiter in Hamburg (HfMT), Kassel, Bielefeld und als Juniorprofessor für Systematische Musikwissenschaft an der HU Berlin war er zuletzt am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt a. M. und am Freiburger Institut für Musikermedizin tätig. Zurzeit arbeitet er an der HfMDK-Frankfurt und absolviert zudem sein Referendariat an der Hessischen Lehrkräfteakademie. www.timofischinger.de
Gordon Kampe
geb. 1976 in Herne, studierte nach einer Ausbildung zum Elektriker, Komposition bei Hans-Joachim Hespos, Adriana Hölszky und Nicolaus A. Huber. Außerdem studierte er Musik- und Geschichtswissenschaften in Bochum. Seit 2017 ist Kampe Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt im Bereich des Musiktheaters. Die Genres reichen von experimentellen Formen und Stückentwicklungen, Recherche-Arbeiten, Installationen, Live-Hörspielen, Werken für Kinder bis hin zur Oper.
Ole Hübner,
geb. 1993, studierte Komposition und Angewandte Theaterwissenschaft und unterrichtet seit 2018 Komposition an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seit 2015 entwickelt er neues Musiktheater auf internationalen Bühnen, u. a. als Mitglied der deutsch-schweizerischen Gruppe The Navidsons. Seine Instrumentalwerke spielen u.a. Klangforum Wien, Ensemble Modern und Decoder Ensemble. Die Bereicherung und Neubewertung von Wissen und Techniken der Neuen Musik durch theatrale / theaterwissenschaftliche Perspektiven und Strategien sind von zentralem Interesse. 2018 erhielt er den Kompositionspreis der Landeshauptstadt Stuttgart.
Mara Genschel Schriftstellerin und Performerin, lebt in Berlin. Ihre performativen Konzepte umfassen Publikationen, zuletzt: Cute Gedanken (roughbooks 2017), Gablenberger Tagblatt (Brueterich Press 2018) und Fur Sessions mit Anca Bucur (frACTalia 2018), aber auch Formen für Bühne (z.B. in der Robert Walser Sculpure von Thomas Hirschhorn 2019) und Radio, zuletzt: Geile Stellen (SWR2 2019), Salon Dilletantisme (SWR2 2020). https://hoeherevasen.wordpress.com/
Nora Gomringer
1980 geborene Schweizerin und Deutsche, lebt in Bamberg. Dort ist sie seit 2010 Direktorin des Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia, Residenz für Künstlerinnen und Künstler verschiedener Sparten. Als Schriftstellerin schreibt, vertont, erklärt, souffliert und liebt sie Gedichte und wurde 2015 u. a. mit dem Ingeborg Bachmann-Preis ausgezeichnet. Sie veröffentlichte bereits mehrere Audio-CDs und Bücher mit beigelegten CDs.
Günter Baby Sommer
geb. 1943 in Dresden, ist einer der bedeutendsten Vertreter des europäischen Free-Jazz. Seine musikalischen Beiträge zu den wichtigsten Jazzgruppen der DDR wie dem Ernst-Ludwig Petrowsky Trio, dem Zentralquartett und der Ulrich Gumpert Workshopband ermöglichten Sommer den Einstieg in die internationale Musikszene Ende der 1970er Jahre, u. a. mit mehreren Auftritten bei den Donaueschinger Musiktagen. Sommer arbeitete fortan mit Jazz-Größen wie Peter Brötzmann, Fred van Hove, Alexander von Schlippenbach, Evan Parker und Cecil Taylor. Er kollaborierte über Jahrzehnte mit SchriftstellerInnen wie Christa Wolf, Christoph Hein und insbesondere Günter Grass (LPs/CDs: 1987 „Es war einmal ein Land 1/2“, 1988 „Wer lacht hier, hat gelacht?“, 1993 „Da sagte der Butt“, 2004 „Mein Jahrhundert“). In den letzten Jahren setzte er diese Art der Zusammenarbeit mit Nora Gomringer fort, so auch bei dieser Tagung. Er ist seit 1995 Professor für Jazz an der Musikhochschule in Dresden.
Das Institut für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt fördert zeitgenössische Musik aller Bereiche und ihre pädagogische Vermittlung.
Das thematische Spektrum reicht von der Tradition der kompositorischen Avantgarde über Klangkunst, Performance, Neue Medien und grenzüberschreitende Konzepte bis zur Improvisation, zum Jazz und zur Musik der Jugendkulturen.