74. Frühjahrstagung Verflechtungen II – Musik und Sprache in der Gegenwart
Mittwoch 7.4.2021 VERFLECHTUNGEN
16 Uhr
Begrüßung
Till Knipper und Vorstand des INMM
Christa Brüstle
Sprache – Text – Musik.
Überblick zu ihren aktuellen Verbindungen
Gespräch zum Video
Musik als Sprache oder Musik und Sprache sind Themen, die seit den 1950er Jahren zu neuen Diskussionen herausgefordert haben. Die klassischen Argumente für eine „Sprachähnlichkeit“ der Musik waren in zeitgenössischen Kompositionen nicht mehr gegeben. In der Sprachwissenschaft wurde die Auffassung von Sprache neu diskutiert: Ist Sprache nur Grammatik, ist sie nur ein System von Zeichen? Ist Sprache nicht vielmehr auch das aktive Sprechen (mit Stimme und Intonation)? Ist Sprache nicht auch eine Aktion, eine Sprechhandlung? „How to do things with words“, das war ein vielzitierter Titel des Buches von John Austin aus dem Jahr 1962. Damit kamen der Körper und die Stimme sowie die sprachliche Interaktion ins Blickfeld – und es wurde nicht nur über Bedeutung, sondern auch über Missverständnisse nachgedacht. Heute werden diese vielfältigen Aspekte von Sprache mit modernen, empirischen Methoden zum Beispiel in der Psycho- oder Neurolinguistik erforscht. Auch Sprache als Kunst, als Literatur, als Poesie, als Kunstsprache wurde im 20. Jahrhundert breit aufgefächert, mit Auswirkungen auf die Komposition etwa bei Pierre Boulez, Luciano Berio, John Cage, Heiner Goebbels, Olga Neuwirth oder Elena Mendoza. Parallel dazu kamen die Medien der Sprache ins Blickfeld: „Das Medium ist die Botschaft“ hatte 1967 Marshall MacLuhan verkündet. Die Wandlungen vom Buch zum Hörbuch, vom Schriftstück zur Datei, vom Telefongespräch zum Posting in den Social Media sind allen geläufig. Zu den Auswirkungen der medialen Sprachübermittlungen gehören damit auch Veränderungen der Sprache selbst. In zeitgenössischen Kompositionen, elektroakustischer Musik, Computermusik, in Musikperformances und in aktuellen Musiktheater(medien)projekten bilden daher Verflechtungen von Musik und Sprache, denen hier nachgegangen wird, eine kontinuierliche Herausforderung.
16.45 Uhr
Christian Grüny
Musik – Sprache – Propaganda
zum Video
Eine wesentliche Frage im Zusammenhang mit Musik und Sprache ist diejenige der Verständlichkeit. Ob Musik als Sprache oder sprachähnlich aufgefasst wird, hängt entscheidend damit zusammen, wie stark ihre Konventionen sind, wie geläufig sie ist und wie widerstandslos sie aufgenommen werden kann. Seit dem 20. Jahrhundert sind alle diese Faktoren problematisch geworden, und auch die in Musik vorkommende reale Sprache ist davon in Mitleidenschaft gezogen worden. Aber die Vorliebe für verrätselte, zerstückelte Texte scheint an ein Ende gekommen, und Verständlichkeit ist mehr und mehr gewünscht, gerade auch in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht. Am Horizont droht hier immer die Gefahr der Propaganda, die dem Anspruch der Kunst auf Offenheit, Mehrdeutigkeit und Autonomie zuwiderläuft. Aber wäre das wirklich so schlimm?
18 Uhr
Marcel Beyer und Moritz Lobeck
Pausengespräch
20 Uhr
Jonathan Burrows und Matteo Fargion im Gespräch mit Christian Grüny
Live-Portrait
Musik, die in Bewegung übersetzt wird, Sprache, die als Musik funktioniert, Bewegung, die Sprache kommentiert – seit fast 20 Jahren produzieren Jonathan Burrows und Matteo Fargion Performances, die so reflexiv wie unterhaltsam, so virtuos wie witzig sind. Im Gespräch mit Christian Grüny werden die beiden den Zusammenhängen, Resonanzen und Reibungen von Bewegung, Sprache und Musik in ihren Arbeiten nachgehen.